Wer soll das bezahlen?
Jürgen Nerger – 02. Dezember 2025Eine kurze Geschichte der teuersten Wette unserer Zeit. Es ist die eine Frage, die alle Welt beschäftigt:
Wer bezahlt die künstliche Intelligenz?
Wir sprechen hier nicht von den paar Euro fürs Premium-Abo. Wir sprechen von einem Industriezweig, der – laut aktuellen Schätzungen – in wenigen Jahren mehr Energie verschlingen wird, als einige europäische Länder zusammen. Nicht „Mondstation“, nicht „Science-Fiction“. Ganz reale Energie, die irgendwo erzeugt, transportiert, gekühlt und abgerechnet werden muss.
Fangen wir mal mit den Kosten an. Ein modernes KI-Modell besteht aus Milliarden Parametern. Jeder davon will trainiert werden. Gefüttert. Überwacht. Massiert. Es ist, als würde man einem sehr anspruchsvollen Haustier das gesamte Internet erklären. Ohne Pause. Auch am Wochenende. Dafür braucht man Rechenzentren, die so viel Strom verbrauchen wie große Städte. Und GPU-Cluster, die schon beim Training Wärme erzeugen, mit der man problemlos ganze Wohnviertel mit Fernwärme versorgen könnte. Und Entwicklerteams, die im Prinzip mit jedem Release eine neue Art von digitalem Muskelkater erzeugen. Die Hardware ist rar, die Nachfrage gigantisch, der Betrieb anspruchsvoll. Und jedes neue Modell steigert den Aufwand exponentiell. Das ist nicht „teuer wie ein Berliner Flughafenbau“, das ist teuer wie viele Flughafenbauten hintereinander, nur ohne die Möglichkeit, den Bau irgendwann zu beenden.
Kurz:
Die KI-Industrie ist die teuerste Wette der Digitalgeschichte. Alles davor wirkt im Rückblick wie Tischfeuerwerk.

Und wovon leben diese Firmen?
Natürlich gibt es die Abos. Die monatlichen Zehner, die wir zahlen, weil wir schneller tippen wollen, als wir denken können. Aber Abos sind Kleingeld im großen Spiel. Ein netter Zuverdienst. Wie das Sparschwein auf dem Küchenschrank. Dann sind da die APIs: Firmen zahlen pro Anfrage. Ein bisschen wie Parkschein ziehen, nur dass hier jeder Gedanke ein Token kostet. Klingt unscheinbar, ist aber das eigentliche Öl im System. Denn Unternehmen zahlen. Ohne Murren. Effizienzgewinne waren schon immer der bessere Gott. Und schließlich die Enterprise-Verträge. Millionenbeträge, maßgeschneidert. Großkunden, die nicht „ein bisschen ausprobieren“ wollen, sondern sich direkt einen digitalen Co-Pilot ins Unternehmen implantieren. Da spielt wohl die Musik. Oder besser: der Bass.
Das Problem ist nur…
… diese Einnahmen wirken wie ein ganz ordentlicher Regenschirm. Bis man merkt, dass man versucht, damit einen Wasserfall aufzuhalten. Der Betriebskosten-Wasserfall rauscht immer tiefer, lauter und schneller. Jede Anfrage, jeder Prompt, jede Trainingsepisode produziert Ausgaben, die man früher als Großinvestition verbucht hätte. Dass KI-Unternehmen mehr verbrennen, als sie verdienen, ist kein Geheimnis. Das kennt man aus der Tech-Branche. Nur dieser Maßstab ist neu. Das Ganze erinnert an eine Spielbank, in der niemand mehr Jetons setzt, sondern gleich ganze Häuser oder das ganze Erbe. Und wer gewinnt, gewinnt dann alles.
Warum aber wird so viel Geld in etwas gesteckt, von dem man nicht weiß, ob es das je wieder einspielt?
Weil die Beteiligten darauf wetten, dass KI so selbstverständlich wird wie Wasser aus der Leitung. Wie Strom aus der Steckdose. Die neue Basis Infrastruktur. Die Logik ist einfach: Wenn KI erst überall drin ist – im Mailprogramm, im Auto, in der Steuererklärung, in jeder Tabellenkalkulation – dann ist die Zahlungsbereitschaft auch da. Nicht aus Begeisterung. Aus Gewohnheit. Wer KI kontrolliert, kontrolliert die nächste Ebene des Internets. Und wer dort Marktführer ist, absorbiert zwangsläufig viele andere Geschäftsmodelle: Suche, Werbung, Helpdesk, Wissensarbeit, Kollaborationstools, Office-Software, Übersetzungsdienste. Alles Kandidaten für das große „in KI aufgegangen“. Das ist der Grund, warum Tech-Konzerne nicht nur investieren, sondern „all-in“ gehen.
Und wir? Was sollen wir tun?
Wir stehen am Spielfeldrand und schauen zu, wie Firmen Milliarden verbrennen, um eine Technologie großzuziehen, die vielleicht alles verändert. Oder nur unsere Satzzeichen. Wir dürfen selbst entscheiden:
Mitfiebern oder fürchten? Auf die Zukunft wetten oder den Stecker ziehen?
Die Ironie ist: Wir bezahlen ja längst. Auch jene ohne Abo. Nur anders, verstreuter, indirekter: Mit Daten. Mit Aufmerksamkeit. Mit Erwartungen an eine Welt, die schneller sein soll als wir selbst. Die wirtschaftliche Rechnung ist erstaunlich simpel: Die Kosten sind historisch. Die Erlöse sind spekulativ. Das Vertrauen ist die Währung. Und die Zukunft ist eine Wette. Eine sehr teure.
Die eigentliche Frage lautet also nicht: „Wer soll das bezahlen?“ Sondern: „Was passiert, wenn sich diese Wette auszahlt? Und was, wenn nicht?“
Bis dahin läuft das Training weiter. Warm, laut und unermüdlich. Wie ein neues Kraftwerk für Gedanken, das niemand ganz versteht, aber alle irgendwie benutzen. Nur eins sollten wir uns unbedingt merken:

