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Wenn Pomp den Verrat krönt. 

Jürgen Nerger – 23. September 2025

Diese Tage haben etwas Zersetzendes an sich. Nicht die kleinen Niederlagen, nicht die vertrackten Kompromisse im Hinterzimmer – sondern ein offenes Schauspiel, als sei Politik nur noch Kulisse und Würde bloß Requisite. Wir schauen zu, während Demokratie zur Hofkultur verkommt: Prachtvolles Protokoll, Fanfaren, Staatsbankett und mittendrin Politiker und Oligarchen, die längst jedes Vertrauen verspielt haben. Wer meint, Zeremoniell könne die Verfasstheit einer Gesellschaft ersetzen, hat leider nicht verstanden, was Demokratie bedeutet.

Das Problem ist dabei nicht der eine Besuch, die eine Gala. Das Problem ist die ganze Systematik: Institutionen, die aushöhlen, wenn Verantwortliche die Regeln zu ihren Werkzeugen machen; Rechtsstaat, der bestenfalls noch optional erscheint; Medien, die im Joch von Aufmerksamkeit und Profit zerrieben werden. Demokratien bluten nicht immer laut, sondern bekanntermaßen oft schleichend. Und wer die Mechanik der Aushöhlung versteht, erkennt sie schnell wieder: Schwächung der Kontrollinstanzen, Delegitimierung unabhängiger Justiz, Rhetorik, die Gegner zu Feinden erklärt und so weiter und so fort. 

Zensur?

Gleichzeitig tobt die Debatte um „Cancel Culture“ und „Zensur“. Begriffe, die reflexhaft und völlig undifferenziert benutzt werden. Es gibt ja berechtigte Kritik an einem Mob, der zu schnell verurteilt; und es gibt berechtigte Forderungen nach Verantwortung für Machtmissbrauch. Aber es ist gefährlich, echte Zensur, das „Verstummenmachen“ oder sogar „verstümmeln“ durch Regierungen, Institutionen oder Plattformen mit der Haltung von Bürgerinnen und Bürgern gleichzusetzen, die Missstände sichtbar machen wollen. Die Grenzen verlaufen nicht im Streit, sondern in der Manipulation der Öffentlichkeit.

Wenn wir allerdings die Aushöhlung beklagen, müssen wir auch zeigen, was dem entgegensteht. Und genau hier beginnt unsere Verantwortung als Gestalter:innen, als Kommunikationsprofis, als kulturelle Institutionen.

Unsere Aufgabe ist es ja nicht, Hofdekor zu liefern, sondern Räume für Debatte. Wir dürfen nicht nur Marken schmücken, sondern müssen ihnen Haltung abverlangen. Wir können Bilder, Worte, Kampagnen entwickeln, die sich nicht im Schönen erschöpfen, sondern im Klaren: 

Was ist denn die Wahrheit? Wofür stehen wir noch? Welche Stimme verstärken wir? Und welche nicht? 

Design ist schließlich kein Ornament. 

Design ist eine Sprache. Kommunikation ist kein Feigenblatt. Wenn die Demokratie sich verdunkelt, dann liegt es auch an uns, Licht zu machen. Indem wir Geschichten erzählen, die Komplexität nicht scheuen. Indem wir Symbole schaffen, die nicht nur verkaufen, sondern auch erinnern. Indem wir uns weigern, Propaganda zu veredeln und stattdessen die Räume gestalten, in denen offene Rede möglich bleibt.

Das bedeutet konkret:

  • Wahrheit sichtbar machen.
    Fakten übersetzen, ohne sie zu verfälschen.
  • Räume für Debatte schaffen.
    Bühnen, Magazine, Kampagnen als Orte der Auseinandersetzung, nicht nur des Konsums.
  • Haltung einfordern.
    Von Marken, von Institutionen, auch von uns selbst.
  • Propaganda entlarven.
    Wir sind doch nicht die Stylisten der Lüge!

Kultur ist keine Nebensache, sondern ein Korrektiv! Sie hält Gesellschaften wach, indem sie andere Wirklichkeiten entwirft. Sie widerspricht, irritiert, fordert heraus. Wer gestalten kann, kann auch zerstören. Aber noch wichtiger: Wer gestalten kann, kann auch schützen. Gerade wir, die tagtäglich an der Schnittstelle von Bild und Bedeutung arbeiten, müssen uns daran erinnern: Jede Kampagne, jede Ausstellung, jedes Design sendet Signale in den öffentlichen Raum. Und in Zeiten, in denen die Demokratie schwankt, dürfen diese Signale nicht länger neutral sein.

Demokratie ist kein Museum. Sie ist ein Prozess, ein tägliches Handeln. Wer glaubt, höflicher Pomp könne die Leere füllen, in der Verantwortlichkeit einst wohnte, irrt. Wir müssen schreien, wenn es nötig ist. Mit Worten, Bildern, Konzepten und Kampagnen. Nicht aus Wut allein, sondern aus Pflicht. Nicht, um zu zerstören, sondern um zu verhindern, dass das, was wir lieben, zur Requisiten der Macht wird.

Wer gestaltet, trägt Verantwortung. Und wer Verantwortung trägt, muss handeln. 

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