Skip to content

Was ich beruflich mache? Ich arbeite. 

Jürgen Nerger – 01. Juli 2025

Wenn Berufe verschwimmen – und Identität zum Fragezeichen wird.

Du sitzt in einem Vorstellungsgespräch. In der Kneipe am Tresen. Oder vor deinem eigenen Lebenslauf. Irgendwann kommt die Frage und klingt dabei so harmlos: „Was machst du beruflich?“

Früher hätte man darauf eine Antwort gehabt. Heute hat man Optionen. Die eigenen Stationen lesen sich dabei immer häufiger wie ein schlecht sortiertes Plattenregal. Ein bisschen Strategie. Ein bisschen Design. Zwei Jahre Projektleitung hier. Dann ein Startup. Anschließend ein Sabbatical. Dann vielleicht irgendwas mit Coaching?

Patchwork nannte man das mal. Heute heißt es Profil. Man hat keine Biografie mehr. Jetzt hat man einen „Karriere-Remix“. Die Idee von einem Beruf, der dich definiert, der sich durchzieht, der dir Halt gibt, ist Geschichte. Niemand ist mehr nur Texter. Niemand bleibt nur Designerin. Du bist, was du heute kannst. Vielleicht morgen schon nicht mehr.

Es gibt Gewinner in diesem System. Menschen, die sich schnell umerfinden. Die wechseln, kombinieren, neu erzählen. Dabei wirken sie modern, beweglich und anschlussfähig. Und es gibt Verlorene. Menschen, die Halt gesucht haben. Die eine Rolle wollten, einen Inhalt, der bleibt. Sie fühlen sich aussortiert, noch bevor sie angekommen sind. Gerade die Kreativbranche war mal ein Hafen für Eigenwillige. Für Leute mit Brüchen, mit Ecken und Kanten, häufig auf Umwegen. Heute ist sie eine Art Durchlauferhitzer für Fähigkeiten. Du wirst eingeladen, weil du etwas kannst. Bleiben darfst du, wenn du flexibel genug bist, auch etwas anderes zu können. 

Aber was bleibt dann? 

Was erzählt man über sich selbst, wenn es keine Linie, keinen roten Faden mehr gibt? Biografien müssen heute eben anders erzählt werden. Nicht als Abfolge von Abschlüssen oder Beweis für „Stabilität“, sondern als Momentaufnahmen, die auch Haltung zeigen können. Was uns fehlt, sind nämlich keine Zeugnisse und Zertifikate. Was uns fehlt, ist der Mut zu sagen: Das hier bin ich. Das war ich mal. Das werde ich übrigens nicht mehr sein. Und das, worauf ich bestehe, hat nun mal gerade keinen Jobtitel.

In einem Lebenslauf sollte man nicht länger nach Schema suchen. Nicht nach Aufstieg. Und auch nicht nach Glanz. Sondern nach Brüchen oder Kurswechseln, die trotzdem Sinn ergeben. Nach Entscheidungen, die nicht sofort marktfähig wirken, aber Persönlichkeit zeigen. Der Remix von Biografien ist nämlich keine Modeerscheinung. Er ist ein Symptom für ein System, das einfach schneller denkt, als Menschen Orientierung finden können. Er ist eine Konsequenz aus Märkten, die Skills kombinieren, aber kein Narrativ verlangen.

Es wird höchste Zeit, den Remix anzunehmen, ihn aber nicht zu verwechseln. Zwischen lose zusammengeklebten Profilen und echter Biografie liegt immer noch ein Unterschied. Ein Remix kann laut und wild sein, chaotisch oder aufgeräumt. Aber wenn er nichts über dich erzählt, bleibt er eben nur das: beliebig. Die Frage ist nicht, ob du alles kannst. Die Frage ist, ob du morgen noch weißt, wer du bist, wenn du plötzlich etwas anderes können musst.

Beruflich ist alles möglich. Biografisch nichts verbindlich! 

Interesse an weiteren Artikeln?

Jetzt lesen