Volle Luft voraus!
Jürgen Nerger – 11. November 2025Eine kleine Kulturgeschichte der Blasen.
Es gibt Wörter, die klingen, als wüssten sie schon, wie sie enden. „Blase“ zum Beispiel. Das ist kein Substantiv, das ist eine Zeitbombe mit Schleifchen. Sie schwillt, sie glänzt, sie verspricht – und dann: pfft.
Einfach weg. Wie die Vernunft nach drei Aperol.
Gerade reden wir wieder viel über Blasen. Über die KI-Blase, die ja wohl alles verändern soll, über die Immobilienblase, die wieder mal gar nichts verändert, oder über die Moralblase, die Veränderung predigt, aber Stillstand praktiziert. Das Muster, es ist immer dasselbe: Erst kommt die Euphorie, dann das Geld, dann der Realitätsverlust. Und dann jemand, der sagt: „Das konnte ja keiner ahnen!“
Dabei ist die KI-Blase kein Unfall, sondern ein Déjà-vu mit anderem Branding. Wir hatten sie doch alle schon: die Tulpenblase (Romantik in den Charts), die New-Economy-Blase (HTML auf Crack), die Krypto-Blase (Gier im Hoodie) und die Purpose-Blase (Marketing mit Moralzertifikat). Jede dieser Blasen begann mit einem Satz, der immer gleich klang:

"Diesmal ist alles anders."
Die KI-Blase ist die derzeit größte aller menschlichen Übertreibungen. Vier Milliarden Umsatz, eine Billion Bewertung – das ist keine Wirtschaft, das ist Religion. OpenAI hat mehr Jünger als die katholische Kirche. Und viel bessere PR. Wenn das keine Sekte ist, dann doch wohl wenigstens ein Pilgerort für Investoren. Sie stehen morgens auf und beten zu ChatGPT. Und abends beten sie, dass der Server hält.
Aber wir müssen fair bleiben. Wir brauchen diese Übertreibung. Ohne Blasen wäre Kapitalismus ja nur Mathematik. Mit Blasen wird er wenigstens spannend. Der Mensch will träumen, und wenn er’s nicht mehr kann, kauft er sich eine Aktie, die es für ihn tut. Manche Menschen handeln Hoffnung, andere inhalieren sie.
Beides endet mit Schwindel.
Natürlich erinnert das alles auch an die New-Economy-Blase. Nur dass wir damals in HTML geträumt haben und heute in neuronalen Netzen. Früher hieß es: „Ey, wir haben eine Website!“ Heute: „Heureka, wir haben Bewusstsein!“ Und alle so: Wow, take my money! Man könnte lachen, wenn’s nicht so traurig wäre. Oder auch weinen, wenn’s nicht so witzig wäre. Die Wahrheit liegt irgendwo zwischen Aktienkurs und Therapieplatz. Das eigentlich Schöne an Blasen ist ja: Sie platzen nie leise. Sie gehen unter mit Fanfaren, Hashtags und einem spannenden Ted-Talk. Und wir alle stehen da, nicken, applaudieren und tun so, als hätten wir’s kommen sehen. Das ist die deutsche Form von Katharsis:
"Ich hab’s ja gleich gesagt!"
Aber vielleicht ist das gar keine Wirtschaftsgeschichte. Vielleicht ist es eine Liebesgeschichte. Zwischen Mensch und Übertreibung. Wir können einfach nicht anders. Wir glauben lieber an Versprechen als an Wahrscheinlichkeiten. Selbst Optimismus ist inzwischen ein Asset. Und wenn das stimmt, sind dann Pessimisten die wahren Revolutionäre?
Jede Epoche hat ihre Blase, und jede glaubt, sie sei klüger als die letzte. Dabei platzen Blasen ja nicht, weil sie müssen. Sondern weil wir einfach nicht aufhören können, zu pusten. Ich denke, Blasen sind der menschliche Versuch, Luft zu besitzen. Und wenn sie platzen, merken wir:
Herrje, Wir hätten einfach mal atmen sollen!


