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Ich habe heute leider kein Upgrade für dich. 

Jürgen Nerger – 08. Juli 2025

Im Optimierungswahn. Warum unser kaputter Körper das Letzte ist, was uns menschlich hält.

Man kann heutzutage fast alles verbessern. Den Schlaf. Den Körper. Die Haut. Das Gedächtnis. Die eigene Belastbarkeit, das Energielevel, sogar das biologische Alter. Es gibt Apps, die berechnen, wann du ins Bett gehen sollst, damit du möglichst ausgeschlafen in den nächsten Optimierungstag starten kannst. Uhren, die dir verraten, ob du heute schon genug geleistet hast, um als vollwertiger Mensch zu gelten. Nahrungsergänzungsmittel, die deine Zellen überreden, ihren Zerfall wenigstens ein bisschen hinauszuzögern. Und falls das alles nicht reicht, bleibt immer noch der letzte Ausweg: das Upgrade deines Genoms, deines Gehirns, deines gesamten Systems. 

Herzlichen Glückwunsch. Du bist der Mensch 2.0. 

Nur blöd, dass du damit auch das letzte bisschen verlierst, was dich überhaupt erträglich macht: Deine Brüche. Deine Albernheit. Deine Müdigkeit. Deinen gelegentlichen Kontrollverlust. Deinen morbiden Humor. Deine Sterblichkeit.

Klingt erstmal harmlos, fast schon vernünftig. Wer möchte nicht gesünder sein? Wer hätte nicht gerne mehr Energie, mehr Konzentration, mehr Widerstandskraft? Aber irgendwo auf diesem schmalen Grat zwischen vernünftiger Selbstfürsorge und digitaler Selbstkasteiung kippt das Ganze. Und genau dort beginnt das eigentliche Drama. Während wir versuchen, uns zu perfektionieren, verlieren wir ausgerechnet das, was uns im Kern überhaupt erst menschlich macht.

Das könnte daran liegen, dass wir uns längst selbst wie Maschinen betrachten. Hochkomplexe Systeme, die man nur richtig einstellen, regelmäßig warten und mit ausreichend Daten füttern muss, damit sie optimal laufen. Herzfrequenzvariabilität, Stresslevel, Kalorienbilanz, REM-Schlaf-Anteile – alles lässt sich messen, dokumentieren, verbessern. Und in gewisser Weise steckt ein morbider Trost in dieser Logik: Wenn alles berechenbar ist, wenn unser Körper nur ein System ist, das optimiert werden kann, dann verliert das Chaos seine Bedrohung. Dann haben wir Kontrolle! Dann sind wir sicher!

Dumm nur, dass das Leben sich einen Dreck um unsere Kontrolle schert.

Wir sind nämlich keine Maschinen. Und das Leben folgt auch keiner Formel. Es bricht aus, es scheitert, es entzieht sich der Logik. Unser Körper, so sehr wir ihn auch formen, reinigen, drosseln oder beschleunigen, bleibt ein biologisches Missverständnis – ein System voller Widersprüche, voller Unschärfen, voller Abweichungen vom Ideal. Und genau das unterscheidet uns von den perfekten Algorithmen, die wir so gerne imitieren. Wobei, mal ehrlich: Wer will schon sein wie ein Algorithmus? Die sind gut darin, den passenden Staubsauger zu finden. Aber wenn es darum geht, nachts um halb drei betrunken zu philosophieren oder aus dem Stegreif eine Katastrophe in ein Abenteuer zu verwandeln, versagen sie kläglich. 

Es ist absurd:

Je mehr wir uns verbessern wollen, desto weiter entfernen wir uns von dem, was uns eigentlich auszeichnet. Das Unperfekte. Das Kaputte. Die Fehler im System. Die Tatsache, dass wir sterblich sind, dass unsere Haut Falten wirft, unsere Gedanken manchmal völlig abwegig sind, unser Körper irgendwann versagt. All das, was die Optimierungsindustrie als Schwäche verkauft, ist in Wahrheit unsere letzte Erinnerung daran, dass wir eben keine Produkte sind. Keine funktionalen Einheiten auf dem Weg zum Next-Level Mensch, sondern Wesen mit Brüchen, Widersprüchen und einem eingebauten Verfallsdatum.

Ich kenne Menschen, die ihren Alltag in Mikro-Einheiten zerlegt haben. Die ihren Schlaf optimieren, ihre Ernährung nach Blutwerten ausrichten, die exakt wissen, wann sie meditieren, wann sie fasten, wann sie performen müssen. Sie sind gesund, leistungsfähig, effizient – und wirken trotzdem so lebendig wie die Wohnungen in einem IKEA-Katalog: aufgeräumt, glatt, funktional. Aber niemand will wirklich in diesem Leben wohnen.

Und das könnte unsere Rettung sein: Das Chaos. Das müde Aufstehen. Das Nicht-genug-Sein. Die Tatsache, dass uns regelmäßig alles entgleitet. Dass wir Fehler machen, dass wir manchmal hässlich sind, laut, unproduktiv, völlig inkonsequent. Dass wir sterben werden, ob mit Sixpack oder ohne.

Unsere Unvollkommenheit ist keine Schwäche. Sie ist die letzte Bastion gegen eine Welt, in der wir alle perfekt, aber völlig unbrauchbar wären. Weil wir dann nichts mehr fühlen, nichts mehr riskieren, nichts mehr falsch machen dürfen. Du wirst dich nie perfekt machen können. Du wirst altern, du wirst müde sein, du wirst Fehler machen, du wirst scheitern. Du wirst irgendwann sterben, trotz optimierter Morgenroutine, trotz Superfood, trotz Neuroimplantat.

Und genau das macht dich zum einzigen Upgrade, das diese Welt noch erträgt. 

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