Soll das ein Witz sein?
Jürgen Nerger – 08. April 2025Es gibt Menschen, die glauben, Humor sei ein Fluch. Dass man mit ihm nicht ernst genommen werde, dass er Diskussionen verwässert, Bedeutungen untergräbt, Wahrheiten vernebelt. Ich halte das für ein Missverständnis. Oder vielleicht sogar für eine Art kulturelles Versagen. Denn wer gelernt hat, mit Humor zu denken, zu kommunizieren, zu leben – weiß:
Humor ist keine Flucht aus der Welt. Sondern ein Weg, sich ihr zu stellen.

Ein Essay über Humor.
Radikal, überraschend, oft gnadenlos präzise. Wir leben in Zeiten, die wenig Anlass zum Lachen geben. Und genau deshalb ist Humor wichtiger denn je. Nicht als Witzmaschine. Nicht als Marketingstrategie. Sondern als Prinzip. Als Haltung. Als Stilmittel. Als Differenzierung in einer Welt, die sich in Bedeutungsrhetorik verliert. Ich habe Humor für mich nicht „entdeckt“ – er war immer da. Nicht als Masche, sondern als Möglichkeit. Nicht als Maske, sondern als Methode. Und irgendwann wurde mir klar:
Humor ist die einzige Sprache, die wirklich alles sagen kann – ohne platt zu werden.
1. Humor ist keine Ablenkung. Humor ist ein Angriff.
Es ist eine seltsame Umkehrung: Je ernster die Welt wird, desto leiser wird der Humor. Man zieht sich zurück, spricht von Empfindlichkeiten, von Timing, von Unangemessenheit. Und genau hier beginnt die Tragödie: Die Welt brennt – und wir schweigen, weil uns der Ton nicht gelingt. Dabei ist Humor das einzige Werkzeug, das die Schwere nicht fürchtet. Er läuft auf sie zu, nicht davor weg. Er nimmt den Schrecken zwar nicht, aber er nimmt ihm das letzte Wort. Der Humorist ist kein Clown. Er ist ein Beobachter mit Brennglas. Er sieht das Absurde, das Paradoxe, das Peinliche – und er benennt es. Nicht, um sich wichtigzumachen oder darüberzustellen. Sondern, um die Welt wieder sichtbar zu machen. Wo Ernst lähmt, bringt Humor Bewegung. Wo Pathos versperrt, öffnet Humor den Raum. Und wo Ideologie dogmatisch wird, ist es oft der Humor, der uns erinnert: Du darfst auch anders denken!

2. Humor ist Haltung – kein Scherz.
Viele verwechseln Humor mit Witz. Sie denken an Pointen, an Wortspielchen auf Memes und T-Shirts oder Kalauer in Agenturpräsentationen. Sie denken an Late-Night-Comedy, an schiefe Grimassen und das befreiende Kichern beim verkrampften Team-Event. Aber das ist nicht der Humor, von dem ich spreche. Der Humor, den ich meine, ist keine Technik. Er ist eine Geisteshaltung. Ein Blick auf die Welt, der weder zynisch noch sentimental ist, sondern wach, wachsam, scharf – und manchmal gnadenlos. Humor ist die Bereitschaft, die eigene Perspektive zu verlassen. Sich selbst infrage zu stellen, die Regeln zu verbiegen, die Logik zu unterlaufen – und trotzdem wahr zu bleiben. Er ist geistige Beweglichkeit unter Druck. Und das macht ihn so wertvoll. Er öffnet Türen, die Argumente nur verriegeln. Er stellt Fragen, wo andere längst Antworten behaupten. Und er kann in einem einzigen Satz das entlarven, was andere auf 30 PowerPoint-Slides nicht aufgelöst bekommen. Humor ist kein Stilmittel. Er ist ein Stilbruch – und das im besten Sinne. Er trennt nicht, er durchkreuzt. Er steht nicht „gegen“ den Ernst, sondern neben ihm – und grinst.

3. Humor in der Kommunikation:
Das letzte echte Unterscheidungsmerkmal.
Wenn heute alle über Purpose sprechen, über Authentizität, Haltung, Storydoing – dann klingt das wie gut trainierte Sprache ohne Risiko. Man weiß, wie man reden muss. Wie man wirkt. Wie man sich erklärt. Aber niemand will mehr überraschen, denn Überraschung ist gefährlich. Man könnte missverstanden werden. Oder – schlimmer – nicht gefallen. Und hier kommt Humor ins Spiel, denn wer Humor in der Kommunikation beherrscht, beherrscht die Überraschung. Nicht als banaler Gag, sondern als Perspektivwechsel. Als Reibung. Als Moment der Irritation, der hängenbleibt. Humor ist der einzige rhetorische Zugriff, der zugleich stören und verbinden kann. Er macht eine Botschaft menschlich. Er macht eine Haltung glaubwürdig. Er macht ein Thema verdaulich, ohne es kleinzumachen. Und vor allem: Er macht einen Unterschied. In einer Welt, in der alles kommuniziert – aber kaum etwas berührt – ist Humor das letzte echte Unterscheidungsmerkmal. Denn wer humorvoll ist, zeigt: Ich kann denken. Ich kann fühlen. Ich kann mich selbst relativieren. Und das ist eine größere Kompetenz als jede Kommunikationsstrategie.
4. Humor polarisiert
Es ist kein Wunder, dass Humor so selten richtig eingesetzt wird – er ist das am meisten unterschätzte, falsch verstandene und missbrauchte Stilmittel unserer Zeit. Er wird verwechselt mit Albernheit. Mit Ironie. Mit Sarkasmus. Mit der Flucht vor dem Ernst. Dabei ist es genau umgekehrt. Wer Humor beherrscht, kann mit dem Ernst besser umgehen als alle anderen. Humor ist keine Schwäche – sondern eine Form von intellektueller Stärke. Wer lachen kann, ohne zu entwerten, wer pointiert sein kann, ohne zu verletzen, wer spielerisch denkt, ohne flach zu werden – der beherrscht mehr als ein rhetorisches Instrument. Der beherrscht ein Prinzip. Viele aber halten Humor sogar für gefährlich. Er könnte missverstanden werden. Er könnte irritieren. Er ist nicht klar und deutlich. Und ja – genau das ist seine Kraft. Humor ist Risiko. Aber nicht aus Unbedachtheit, sondern aus Überlegenheit. Er zeigt, dass man souverän ist. Dass man nicht festhalten muss. Dass man Vertrauen hat – in sich, ins Publikum, in die eigene Position. Humor polarisiert. Aber was tut das heute nicht? Die einzige Frage ist: Willst du gefallen – oder willst du wirken?

5. Humor als Strategie – und als Stil
Humor ist kein Add-on. Er ist ein strategischer Zugriff auf die Welt. Er ist eine kreative Haltung, die Projekte verändert, Kommunikation schärft, Marken lebendig macht. Er schafft Nähe, wo andere nur Reichweite wollen. Er stiftet Identifikation, wo andere auf Image setzen. Er entwaffnet. Er öffnet. Und er bleibt. In Agenturen wird oft viel über Tonalität gesprochen – aber selten über Mut. Und Humor ist nichts anderes als: Mut, sich nicht hinter der Sprache zu verstecken. Er ist keine Maske. Er ist ein Spiegel, der sich zu bewegen wagt. Er ist ein dritter Weg zwischen Pathos und Sachlichkeit – und vielleicht sogar der menschlichste von allen. Denn Humor stellt keine Ansprüche. Aber er stellt alles infrage. Und das ist – in einer Welt voller Gewissheiten – vielleicht seine größte Stärke.

6. Ein Plädoyer für den Humor
Ich glaube nicht an Humor als Accessoire. Ich glaube an Humor als Substanz. Nicht als Sahnehäubchen für brave Kommunikation, sondern als tief verankertes Prinzip. Als Denkhaltung. Als Ausdruck von Freiheit. Denn Humor ist nicht das Gegenteil von Ernst. Er ist sein schärfstes Gegenüber. Und vielleicht der Einzige, der ihm ebenbürtig ist. Wir leben in einer Zeit, in der die Welt nach Orientierung ruft – und die Kommunikation antwortet mit Floskeln. Jede Botschaft wird glattgeschliffen, jede Position abgesichert, jede Kampagne algorithmisch optimiert. Und ausgerechnet das, was Menschen am tiefsten verbindet – das Lachen – verschwindet aus den Konzepten. Ich halte das für einen Fehler. Nicht weil alles lustig sein muss, sondern weil alles lebendig sein sollte. Humor ist Leben. Er ist Bewegung. Atem. Abstand. Nähe. Humor schafft Verbindung ohne Erklärung. Er sagt: „Ich sehe dich. Und ich nehme mich selbst nicht zu wichtig". Was für eine radikale Geste – gerade heute. Ich will den Humor nicht mehr als Stilmittel benutzen. Ich will ihn leben lassen – in allem, was ich schreibe, gestalte, kommuniziere. Nicht, weil ich damit besser gefalle, sondern weil ich glaube, dass es das ist, was uns unterscheidet.
Und verbindet.