Die Liga der Lauten
Jürgen Nerger – 14. Oktober 2025Rankings sind kein Maß – sie sind Marktdesign.
Willkommen in der Liga der Lauten. Wer trommelt, gewinnt. Wer arbeitet, hat später Zeit. Nebel im Gegenlicht. Eine Moderatorin mit mehr Adjektiven als der Case Slides. Auf der Bühne: „Blablabla des Jahres“, „Innovation Champion“, „Most Whatever“. Auf LinkedIn explodieren die Selfies und die Feeds singen im Chor. Und am Tag danach? Ändert sich exakt nichts. Außer den Bios. Man kann es nicht mehr sehen.
Warum lieben alle Listen so sehr? Weil sie die Unübersichtlichkeit der Branche in ein bequemes Regal verwandeln: oben, Mitte, unten. Wer drinnen ist, ist „sichtbar“. Wer fehlt, „muss an sich arbeiten“. Das Problem: Die meisten Rankings messen vor allem, wie gut jemand Ranking spielt. Lautstärke wird zum Talent, Sichtbarkeit zum Kriterium, Wiedererkennungswert zur Währung.
Fängt schon bei der Methodik an. Die Kriterien heißen gerne „Innovation“, „Impact“, „Relevanz“. Sehr hübsche Worte, leider selten sauber belegt. Worin innovativ? Für wen relevant? Über welchen Zeitraum wirksam? Ein Projekt, das nach 14 Tagen Buzz verdampft, läuft dann als „durchschlagend“. Ein Kunde, der nach drei Monaten abspringt, gilt als „mutig“. Und die Datenbasis? Häufig nicht mehr, als die Einreichung selbst.
Glanzleistung des Monats: das Pressefoto.
Dann die Lautstärke-Falle. Wer eine PR-Maschine hat, gewinnt Sichtbarkeitspunkte. Wer kein Budget, keine Zeit oder einfach keine Lust auf Selbstbespiegelung hat, existiert formal nicht. Rankings belohnen das Signal, nicht die Substanz. Introvertierte Teams, leise Marken, sperrige Themen: systematisch benachteiligt. Und am Ende blenden wir aus, worum es eigentlich geht:
Was hat sich beim Publikum, beim Kunden, in der Welt tatsächlich verbessert?

Nächste Baustelle: Kontextverlust.
„Beste Agentur“, „wichtigste Köpfe über 30, 40, 50“, „Top 100“. Als wäre die Branche ein Stadion mit einheitlicher Spurbreite. Worin „beste“? Unter welchen Bedingungen? Wer mit Microbudgets Großes bewegt, spielt ein anderes Spiel als eine Unit mit siebenstelligen Retainern. Wer in Nischen arbeitet, hat andere Messlatten als jene, die am Massenmarkt agieren. Listen tun so, als wäre das vergleichbar, und liefern dann dieselben Namen wie letztes Jahr, nur in anderer Reihenfolge. (Wenn die Kategorie klingt wie ein Energy-Drink, ist es keine Kategorie.)
Und dann noch das heikle Kapitel „Pitchberater“. Offiziell da für Neutralität und Markttransparenz. In der Praxis oft Schiedsrichter, die den Ball selbst aufpumpen. Shortlists, die erstaunlich oft dieselben Namen enthalten. Templates, die schon die Antworten formen. „Passgenauigkeit“, die merkwürdig häufig mit „Beziehungsbiografie“ verwechselt wird. Die Frage, wer hier wem verpflichtet ist, bleibt gern im Nebel. Neutralität als Geschäftsmodell, nicht als Haltung. Wenn Beratung zum Gatekeeping wird, verengt sich der Markt und Rankings flüstern das Echo: „Die Besten sind die, die wir schon kennen.“
Warum hängen Medien überhaupt so an diesen Formaten? Weil Aufmerksamkeitsökonomie klare Dramaturgien liebt. Listen funktionieren als Content, als SEO, als Stimmung. Das ist legitim. Solange niemand so tut, als wäre es Wissenschaft. Sie sind Formate. Und Formate haben Interessen.
Am Ende bleibt eine unbequeme Wahrheit: Reputation ist kein Ersatz für Resultate. Wir können mit Listen leben, wenn wir sie entgiften: weniger Absolutheit, mehr Einordnung. Weniger Reputationsfolklore, mehr Nachweis. Und wir können aufhören, sie als Währung zu behandeln. Reich wird, wer Werte schafft. Nicht, wer Wertungslisten gewinnt.

